Österreicherinnen thematisieren mit neuer touristischen Attraktion soziale Ungleichheit

Herausgeber: Beyond the Postcard | 10. September 2024

Eine ungewöhnliche Sehenswürdigkeit lässt hinter die Fassade der Postkartenidylle blicken: Bei dem Projekt Beyond the Postcard auf der Festung Hohensalzburg erfahren Tourist*innen etwas über die weniger glanzvollen Seiten ihres Ferienortes. Zugleich können sie freiwillig für lokale Sozialprojekte spenden.

Auf dem Gelände der Festung, dem meistbesuchten Touristenziel Salzburgs, kann man seit Ende August eine neue Sehenswürdigkeit besuchen: eine 7,5 m² grosse «Postkarte» mit einem farbenfrohen Aquarellmotiv der Stadt. Eingebettet in die Idylle sind Szenen, welche die schwierige Lebensrealität vieler von Armut betroffener Salzburger*innen zeigen. Das interaktive Kunstwerk soll Tourist*innen für soziale Ungleichheit vor Ort sensibilisieren. Es ist eine Einladung, im Urlaub weltoffen und solidarisch neue Perspektiven einzunehmen. Wer möchte, kann ein kleines «Gastgeschenk» für Menschen in Not hinterlassen.

Die neue Attraktion ist Teil des Non-Profit-Projekts Beyond the Postcard, das die touristische Landschaft in Salzburg ein Stück weit solidarischer gestalten möchte. Dahinter steht das soziale Reisekollektiv benetrip, gegründet von den Einzelunternehmerinnen Edith Frauscher und Maria Kapeller. Beide sind in Kommunikationsberufen tätig und reisen selbst gerne. «Unsere Motivation ist aus unserer persönlichen Perspektive als Reisende gewachsen. Wir waren beide schon viel unterwegs und sind dabei immer wieder mit Armut und Ungleichheit in Berührung gekommen. Wir finden, dass Urlaub in Zukunft weniger eine konsumorientierte Einbahnstrasse und mehr ein ‚Aufeinander achten‘ sein könnte», sagt Initiatorin Maria Kapeller.

Realeres Bild für Touristinnen und Touristen

Reisende in Salzburg können künftig einen Blick hinter die Postkarten-Idylle werfen, in der man sich in den Ferien meist bewegt. Und das wortwörtlich ‒ denn in der riesigen Postkarte lassen sich eingebaute Fenster hochklappen. Dahinter sind bebilderte Szenen und Fakten über Armut, Ungleichheit und deren Auswirkungen zu sehen. «Wir möchten auf diese Weise neue Perspektiven eröffnen und einen Dialog anregen – über Ungleichheit, Ferien als Privileg und solidarisches Verhalten.», so Initiatorin Edith Frauscher. Die Festung ist dafür mit 1,3 Millionen Besucher*innen pro Jahr der ideale Ort. Geschäftsführer Maximilian Brunner: «Natürlich sind wir mit der Festung Hohensalzburg eine hochfrequentierte touristische Attraktion. Gerade deshalb wollen wir die Möglichkeit nutzen, die Gäste zu sensibilisieren. Als Gast sollte man sich meiner Meinung nach nicht nur an der schönen Kulisse einer Stadt ergötzen, sondern sich auch für die dort lebenden Menschen interessieren. Ich sehe dieses Projekt auch als Beitrag zur aktuell vieldiskutierten Definition von Qualitätstourismus.»

Spenden für lokale soziale Projekte

Wer sich von den Inhalten angesprochen fühlt, kann direkt vor Ort für Salzburger*innen in Not ein kleines «Gastgeschenk» in Form einer Geldspende hinterlassen. Das Geld kommt während der zweijährigen Projektlaufzeit alle sechs Monate abwechselnd lokalen Sozialvereinen zugute. In der ersten Phase erhält die Caritas Salzburg die Spenden und unterstützt damit armutsbetroffene Menschen in Bereichen wie Wohnen, Gesundheit, Bildung, Kultur und soziale Kontakte. Johannes Dines, Direktor der Caritas Salzburg: «Diese Aktion zeigt, was für viele verborgen bleibt und womit wir bei der Caritas täglich konfrontiert sind: Auch in vermeintlich wohlhabenden Orten wie Salzburg leben Menschen, die von Armut und Ausgrenzung gefährdet sind. Mit diesem Projekt können Touristen einen kurzen Blick hinter die Postkartenidylle werfen und gleichzeitig Gutes tun. Denn wir alle können Gutes tun – egal, wo wir sind.»

Weitere Massnahmen: Freiwillige +1€-Tickets & sozialer Stadtplan

Im mehrjährigen Projektprozess wurden zwei weitere Massnahmen entwickelt, die bewussteres Reisen mit einer solidarischen Komponente fördern sollen. In den nächsten Monaten werden als zweiter Projektbaustein das «+1€-Ticket» und die «+1€-Hotelbuchung» gestartet: Gäste haben künftig die Option, bei der Buchung ihrer Unterkunft oder dem Kauf einer Eintrittskarte freiwillig einen Euro mehr zu bezahlen, der direkt an eine lokale Sozialorganisation gespendet wird. Die Gespräche mit ersten Partnerbetrieben laufen derzeit, die Umsetzung soll 2024/25 erfolgen. Die dritte Massnahme ist eine touristische Stadtkarte: Sie empfiehlt neben den gängigen Tipps auch soziale Initiativen und Betriebe, wie etwa solidarische Gastronomie und sozial nachhaltige Geschäfte. Der Stadtplan wird in Kooperation mit dem Stadt-Magazin «Fräulein Flora» umgesetzt und erscheint voraussichtlich noch 2024.

Soziale Ungleichheit in Salzburg

Die Tourismusstadt Salzburg wirkt zwar auf ersten Blick für Gäste nicht, als wäre es nötig hier «zu helfen» oder «etwas zurückzugeben». Doch auch in wohlhabenden Regionen existieren Ungleichheiten. Besonders in einer teuren Stadt wie Salzburg ist es in den vergangenen Jahren noch schwieriger geworden, Wohnen, Heizen oder den täglichen Lebensmitteleinkauf zu bezahlen. Armut hat gravierende Auswirkungen, etwa auf die soziale Teilhabe oder die körperliche und geistige Gesundheit. Laut Salzburger Armutskonferenz sind aktuell 61’000 Menschen im Bundesland Salzburg armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, das sind elf Prozent der Bevölkerung. Gleichzeitig kommen die Millionen Reisenden pro Jahr bisher kaum mit Ungleichheit in Berührung – aber auch sie ist Teil einer viel bereisten Welt.

Projekthintergrund

Der Tourismus trägt, genau wie jeder andere Wirtschaftszweig, eine Verantwortung im Hinblick auf die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG). Beyond the Postcard zielt darauf ab, das SDG 10 zu unterstützen - die Reduzierung von Ungleichheit. Angesichts der Millionen Reisenden hat der Tourismus ein enormes Potenzial, aktiv zu diesem Ziel beizutragen. Freilich wird die Tourismusindustrie durch ein Projekt wie Beyond the Postcard nicht per se sozial verträglicher. «Das zu verändern, liegt nicht in unserem Spielraum. Dennoch wollen wir Reisende dazu einladen, in den Ferien weltoffen, neugierig und solidarisch neue Perspektiven und Rollen einzunehmen», sagt Edith Frauscher.

FACTSHEET: Die 3 Massnahmen im Überblick

1 • Eine interaktive Sehenswürdigkeit am Gelände der Festung Hohensalzburg (Standort: Eingang zum Marionettentheater). Sie soll Bewusstsein für soziale Ungleichheit schaffen sowie zum Nachdenken und Austausch anregen – inklusive Spenden-Option für lokale Sozialprojekte.
2 • Eine freiwillige Spendenoption von 1 € bei der Buchung von Tickets & Hotelzimmern, um schnell und einfach in den Ferien etwas Gutes zu tun. Diese Massnahme wird in den kommenden Monaten mit Partnerbetrieben umgesetzt und soll laufend erweitert werden.
3 • Eine touristische «City Map», die auch soziale Initiativen und Unternehmen empfiehlt, wie etwa solidarische Gastronomiebetriebe und Geschäfte. Der Stadtplan wird in Kooperation mit dem Stadt-Magazin «Fräulein Flora» geplant und erscheint voraussichtlich noch 2024.

Hintergrund: Innovationsprozess und lokale Kooperationen

Beyond the Postcard wurde von 2021 bis 2023 entwickelt. Die beiden Initiatorinnen erhielten eine Innovationsförderung von der FFG (Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft). Damit wurde ein Design-Thinking-Prozess finanziert, in dem die drei Massnahmen entwickelt wurden. Dabei haben insgesamt mehr als 80 Salzburger*innen und 60 Tourist*innen mitgewirkt:
-    20 Expert*innengespräche (Armutsforschung, Soziologie, Transformationsforschung ...)
-    Fokusrunden im Bereich Tourismus und Soziales
-    Interdisziplinäre Workshops zur Ideenentwicklung
-    Experimente von Psychologie-Studierenden der Universität Salzburg
-    Face-to-Face Tourist*innen-Befragungen
Mit einer Förderung der Stadt Salzburg im Frühjahr 2024 konnten die Ideen schliesslich realisiert werden. Das Motiv der XXL-Postkarten-Sehenswürdigkeit wurde von den lokalen Künstlerinnen Andrea Lacher-Bryk (www.boese-bilder.at) und Sabrina Hassler (www.sabrillu.com) konzipiert und gestaltet. Im gesamten Projekt wurde bevorzugt mit lokalen Partner*innen zusammen-gearbeitet, etwa im Bereich Illustration, Grafik, Webdesign, Fotografie oder Handwerk.